„Es geht ums Ganze“


Auftakt- und Pressetermin des Inklusionsbeirats im Bezirk Hamburg-Nord. Es hat sehr lange gedauert vom Beschluss der Bezirksversammlung im Januar 2020 bis zu einer konstituierenden Sitzung am 09. Februar 2022 und der Wahl eines Vorstandes. Das lag an der Corona-Pandemie. Dann aber ging es Schlag auf Schlag: Am 11. Mai fand in der Kunstklinik, dem Kulturzentrum in Eppendorf, der Auftakt- und Pressetermin statt, und am 23. Mai wird es die erste Arbeitssitzung des neuen Inklusionsbeirates im Bezirk Hamburg-Nord gegeben haben. Der Vorstand des Beirats besteht aus Heike Wandke (1. Vorsitzende), Thomas Vonhof (2. Vorsitzender), Peter Drews, Karl Heinz Sellenschlo und Marcus Stein.

Arbeit gibt es für die ehrenamtlichen Beiratsmitglieder genug. Das verdeutlicht eine Liste von Barrieren im Bezirk, die sie schon zusammengetragen haben. Genannt werden beispielsweise zu steile Rampen, Fußwege, die zu abschüssig sind, fehlende Bordsteinabsenkungen, Automatiktüren, die zu schnell schließen, Toiletten, die nicht korrekt ausgestattet oder nicht genutzt werden können, Treppenstufen und Poller, die nicht kontrastreich gestaltet sind, Schilder, die unleserlich und Akustikampeln, die zu leise sind, unzugängliche Arztpraxen und vieles mehr. Viele dieser Barrieren sind auch in Langenhorn zu finden.

Heike Wandke will, dass der Inklusionsbeirat mit seinen Kompetenzen zu einem inklusiven Leben der Bürgerinnen und Bürger im Bezirk beiträgt. „Dies auch, weil bis zu 80 Prozent aller Menschen mit Behinderung durch Politik, Stadtplanung, Bauinvestoren, Architekten und andere Akteure benachteiligt und deren Grundrechte nicht gesehen und eingeschränkt werden. Würde eine Umsetzung eines barrierefreien Bezirks, der Stadt und ein generelles Umdenken in Politik und öffentlicher Verwaltung für die Bevölkerung erfolgen, so müssten wir keinen Inklusionsbeirat haben und eine wirkliche Teilhabe aller Menschen wäre wahr geworden. Ein menschenfreundlicher Bezirk wäre die Folge“, sagte sie in ihrer Antrittsrede.

Yvonne Nische, Dezernentin für Soziales, Jugend und Gesundheit im Bezirksamt stellte in ihrer Begrüßungsrede fest, dass Menschen mit Behinderungen Nichtbehinderten den Blick weiten und dass der Beirat allen nützen könne. „Die Beiratsmitglieder können sich einbringen für eine inklusive Gesellschaft, für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Sinne einer vollen Teilhabe mit dem Anliegen, zur gesellschaftlichen Veränderung beizutragen, Dinge und Prozesse zu verändern, um gemeinsam in der Gesellschaft besser zu werden. Man könnte fast sagen: es geht ums Ganze,“ meinte sie.

Dass Barrieren abgebaut werden müssen bzw. gar nicht erst entstehen dürfen, ist bei politisch Verantwortlichen angekommen. Allerdings fragen sich Menschen mit Behinderungen, warum es trotz vieler Proteste und Aktionen in den letzten Jahren nicht gelungen ist, die Barrieren zu beseitigen. Oft sind es Hindernisse, die mit wenig Aufwand verschwinden könnten. Andere könnten vermieden werden, wenn sie gar nicht erst „geplant“ würden.

Zum Abbau von Barrieren soll auch ein landesweiter Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beitragen, der zurzeit unter der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen von der Sozialbehörde für ganz Hamburg aufgestellt wird, wie Nina Gust vom Büro der Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen berichtete. Des Weiteren habe sich das Bündnis „Mobilitätswende – nur mit uns!“ von Verbänden gebildet, das mit der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende in einen sehr konstruktiven Dialog eingetreten sei, um die Verkehrswende gemeinsam barrierefrei zu gestalten. In ihrem Grußwort betonte die Vorsitzende der Bezirksversammlung, Priscilla Owosekun-Wilms, dass es allen Bezirksfraktionen wichtig sei, dass es den Inklusionsbeirat gäbe. „Es ist nicht so, dass Menschen mit Behinderungen kein Interesse haben, sich politisch einzubringen, sondern dass diejenigen, die politisch etwas zu sagen haben, es bisher noch nicht gut geschafft haben, sie einzubinden“.

Jurand Daszkowski Mitglied im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen und im Landesbeirat zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bietet Unterstützung an und forderte eine gemeinsame gesetzliche Grundlage für die Arbeit der bezirklichen Inklusionsbeiräte, die es zurzeit noch nicht gibt. In Wandsbek, Eimsbüttel und Altona sind bereits Inklusionsbeiräte vorhanden, weitere werden folgen. Bald soll ein erster Erfahrungsaustausch stattfinden, zu dem die Senatskoordinatorin Ulrike Kloiber noch in diesem Jahr einladen möchte.

Der neue Inklusionsbeirat ist als Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen im Bezirk Hamburg-Nord gedacht und setzt sich für ihre Anliegen gegenüber der Bezirksversammlung und seinen Ausschüssen sowie der Öffentlichkeit ein. Er hat eine beratende Stimme im bezirklichen Sozialausschuss. Der Beirat soll Empfehlungen zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen erarbeiten und insbesondere die Bezirksversammlung und Verwaltung beraten und unterstützen, damit ihre besonderen Lebensinteressen in Diskussions- und Entscheidungs-prozessen der kommunalen Gremien berücksichtigt werden. Das Bezirksamt wird seinerseits den Beirat fachlich und organisatorisch unterstützen. So heißt es im Beschluss der Bezirksversammlung aus dem Jahre 2020.

Die Beiratsmitglieder haben keine einfache Aufgabe vor sich, denn es sind nicht nur sichtbare und fühlbare Barrieren, die Menschen an der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben behindern, sondern Unwissenheit, Gedankenlosigkeit sowie Vorurteile. Es sind Barrieren in den Köpfen. Heike Wandke beklagt zudem eine Zunahme der Vereinzelung und eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft. Das wirke sich auch stark im Verkehr aus, wenn sie mit ihrem Rollstuhl unterwegs sei. Die Rücksichts-losigkeit habe stark zugenommen und es hört sich an, wie ein eindringlicher Hilferuf, wenn sie bittet: „Ich möchte auf meinen Wegen nicht weggeklingelt werden!“ Dies ist zugleich ein Appell gegen Ausgrenzung und Diskriminierung, dem sich viele Menschen mit Behinderung anschließen können, nicht nur im Bezirk Hamburg-Nord. Die Sitzungen des Inklusionsbeirats sind öffentlich. Er tagte erstmals am 23. Mai 2022, nächster Termin ist dann der 17. August und am 30. November im Großen Sitzungssaal des Bezirksamtes.

Der Berichterstatter, Karsten Warnke, ist Mitglied im Inklusionsbeirat
im Bezirk Hamburg Nord.


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